
Das Eisklettern hat Kultstatus, ist „Trendsportart“ geworden. Die Gladiatorinnen und Gladiatoren des fallenden Tropfens schlagen ihre gekrümmten Pickel in künstlich hergestellte Eisgebilde. Es finden Wettkämpfe statt, wo nach Regeln geklettert und Siegerinnen und Sieger gekürt werden.
Wie hat dies seinen Anfang gefunden?
Die soziokulturelle Revolution der 1960er Jahre fand beim Klettern zehn Jahre Zeit versetzt in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts statt. Steileisklettern ist ein Kind dieser Zeit. Damals waren in Österreich die Werte des Alpinismus noch stark den Traditionen verbunden und vom Bergsteigerestablishment geprägt. Neuen Ideen wurde mit Argwohn begegnet. Als junger, durch Aufenthalt und Studium in London von der damaligen Aufbruchstimmung geprägter junger Produktdesigner (eine Tätigkeit die damals in Österreich noch großen Erklärungsbedarf hatte) und Kletterer fand ich Gefallen daran, im Ostalpenraum Unruhe zu stiften und eine neue Alpinlehre zu vermitteln, die sich unter anderem mit dem Erklettern von gefrorenen Wasserfällen beschäftigte.
Folgende Einflüsse nährten mein Ketzertum:
– Das Wissen über die abenteuerlichen Begehungen der winterlichen schottischen „Gullies“. Felsrinnen die mit „rime – ice“, eine Art Wassereiswindbäckerei (durch die speziellen klimatischen Bedingungen im Norden der britischen Insel hervorgerufen) in vertikale Bobbahnen verwandelt werden.
– Die Ideen Yvon Chouinards, kalifornischer Freigeist (und später erfolgreicher Unternehmer) eine art Bob Dylan des Alpinismus, der die Naturphilosophie des John Muir (Begründer der amerikanischen Nationalparks) in die steilen Wände des Yosemites und die Eisflanken der Sierras transformierte und der mit der von ihm hergestellten Kletterausrüstung dieser Geisteshaltung auch durch ungewöhnliches Design Ausdruck verlieh.
– Insidern der europäischen Kletterszene, denen aufgefallen war, dass in Chamonix junge Briten und Amerikaner die klassischen Eiswände oft seilfrei und Atem beraubend schnell durchstiegen. Der Grund dafür stellte sich bald heraus: Ihre Kletterschulen waren winterlich- gefrorene Wasserfälle.
Warum also nicht in Österreich so etwas versuchen?
Dummerweise ist Wien dafür am falschen Ende der Alpen angesiedelt. Also – was tun, wenn die zeitlichen und finanziellen Ressourcen nicht ausreichen um in die Tauern zu fahren? (weil, wie ja die meisten von uns Wissen, dort gibt’s bekanntlich Wasserfälle). Die Antwort: Das Abenteuer vor der Haustüre suchen, das scheinbar vertraute heimatliche Alpenvorland mit neuen Augen sehen, „eissensibel“ werden. Spätherbstliche Tagträume, Kartenstudium und das Durchforsten des mentalen Bildarchivs nach Sommererlebnissen, wo Wasserfälle darin vorkamen standen an der Tagesordnung, und ließen die persönliche mangelnde Gebietskenntnis der vermeintlich so vertrauten niederösterreichisch- steirischen Voralpen erkennen.
Dass damals überhaupt die ersten Eisrouten (abgesehen vom altklassischen Gaisloch auf der Rax) geklettert wurden, ist den fast schon hellseherischen Fähigkeiten Hansi Wohlschlagers zu verdanken, bzw. seinem akribischen Kartenstudium. (Abgesehen davon, dass übermotiviert wie wir waren, Eis in jeder Konsistenz geklettert wurde. Teilweise war daher das Klettern eher mit einem schlechten Kraulstil vergleichbar.) Wir waren Pioniere, aber nicht im leistungsbezogenen Sinn, es erschienen nach uns bald bessere, weitaus mutigere, stärkere Kletterer auf der Szene. (Abgesehen davon blieb in der Ausrüstungs-entwicklung ja auch die Zeit nicht stehen). Für uns war Eisklettern jedoch vor allem Teil einer alpinkulturellen Botschaft, das Experimentieren mit neuen Ideen, der Überwindung etablierter Grenzen, die beim Felsklettern noch „Sechsplus“ lauteten und wo man meinte, kletterbares Eis nur an den Flanken hoher Berge zu finden.
Es ist vielleicht vermessen diese Phase der Erschließung eine historische Bedeutung zu geben, kokett sie mit der alpinen Geschichte Wien siebzig Jahre vorher zu vergleichen, aber mit dem Eisklettern zu dieser Zeit fand wieder im kleinen Rahmen ein Aufbruch statt. Eher hatten viele Erstbegehungen den Charme des Wiener Kabaretts, wo man mit Witz den Absurditäten unseres Lebens (in diesem Fall dem Leistungsalpinismus) begegnete.
Die Darsteller auf der damaligen Bühne war ein bunter Haufen Wiener Kletterer, die sich sowohl dadurch auszeichneten Eisklettern als „Hetz“ zu verstehen, wie auch das Zeug dazu hatten bei einigen Erschließungsaktionen kollektiv erfolgreich zu scheitern.
Ein denkwürdiges diesbezügliches Ereignis ist die Begehung eines Wasserfalles in den Tormäuern, (der bezeichnenderweise den Namen „Atlantis“ erhielt), wo das Hauptproblem darin lag, die gesamte Erstbegehungsexpedition (Ich glaube wir waren sieben Personen) samt den spitzen Eisgeräten mit einem Schlauchboot auf das gegenüberliegende Ufer der Erlauf zu bringen (weil da befand sich unsere Route), ohne dabei das Boot zu perforieren und abzusaufen, ohne je mit dem Eis zuvor Kontakt aufgenommen zu haben. Ganz davon zu schweigen, dass eine Seilschaft im allgemeinen Ausrüstungsverteilungsstress am Parkplatz statt das Kletterseil, das Autoabschleppseil mitgenommen hatte.
Unser Selbstvertrauen stieg, unsere finanziellen Mittel stiegen jedoch kaum. Die Kletterausflüge in den Westen oder Süden, ins Gasteiner-, Malta- oder Raccolanatal waren daher mit eisigen „Biwaks“ im engen Auto verbunden, um die Nächtigungskosten zu sparen. Eine Nacht im Lada im Maltatal: Kleine Schneestürmen durch den vereisenden Atem und steif gefrorenen Schuhen am Morgen, Aufstehhaltung – „Frankensteins Monster beim Menuet“ (Offtone Felix Kromer). Damals jedoch ein geringer Preis, den wir in Kauf nahmen, um unsere Träume zu realisieren und neue Spielplätze für das Ausleben unserer Ideen zu finden.
Anders als Fels, ist Eis einer permanenten Wandlung unterzogen, ein flüchtiger Stoff, der den Träumen nur kurz standhält. Eisklettern erfordert viel Feingefühl und sensible Routenführung, die laufend neu definiert werden muss und ist daher eine der schöpferischsten Spielformen des aktuellen Alpinismus.
James G. Skone
Bilder dazu in „Vintage Ice“.